Bei Anruf Mord – Anstiftung zum Suizid?
ieber Unioner,
heute will ich über ein trauriges Thema sprechen: Suizid, also die vorsätzliche Beendigung des eigenen Lebens. Aktueller Anlass hierfür ist eine Dokumentation des Hessischen Rundfunks „Auf den Spuren des Todesflüsterers“, Erstausstrahlung am vergangenen Mittwoch, auch verfügbar in der ARD-Mediathek. Die Dokumentation beleuchtet die Straftaten von Brunhold S.
Was war geschehen? Ab 2015 suchte Brunhold S. im Internetforum „Hoffnungsschimmer“ gezielt nach labilen und suizidgefährdeten Frauen. Er nannte sich Heimu und täuschte den Frauen vor, ihnen Hilfe zu bieten. In Wahrheit wollte Heimu die Frauen in den Suizid treiben. Alles per Chat und Telefon. Leider war er damit bei einer 23-jährigen Frau aus Bremen 2016 „erfolgreich“: Die junge Frau erhängte sich nach den Anweisungen von Heimu. Den Strafverfolgungsbehörden lagen die Chatverläufe vor. Das Ermittlungsverfahren wurde dennoch eingestellt. Erst als Medien auf den Fall aufmerksam wurden und investigative Ermittlungen aufnahmen, kam man Heimu auf die Spur. Insgesamt baute er Kontakt zu mehr als 60 Frauen auf. Zu weiteren Todesfällen kam es glücklicherweise nicht mehr, allerdings brachte Heimu zumindest eine weitere Frau sehr nahe an den Tod heran: Sie stand seinen Anweisungen folgend mit der Schlinge um den Hals auf einem wackligen Stuhl. Einer weiteren Frau sagte er zu, sie zu töten, falls sie nicht den letzten Schritt wagen könne. Brunhold S. wurde in diesen drei Fällen rechtskräftig verurteilt: Mord, versuchter Mord und Verabredung zum Mord.
Die Verurteilung von Heimu war keine juristische Selbstverständlichkeit. Zum einen betrat man im letzten Fall, der Zusage Heimus, das Opfer zu töten, juristisches Neuland. Die Annahme einer Verabredung zu einem Verbrechen nach § 30 Abs. 2 StGB erfolgte bis dahin immer nur in sog. Drei-Personen-Konstellationen: Zwei Personen verabreden sich, eine dritte Person zu ermorden. Vorliegend verabredete sich aber der Täter gerade mit dem Opfer selbst, sodass nur eine Zwei-Personen-Konstellation vorlag. Zum anderen hing die Strafbarkeit des Verhaltens von Brunhold S. davon ab, ob man wirklich von einem Suizid ausgehen durfte. Warum?
In Deutschland ist die Selbsttötung straflos; und zwar nicht nur, wenn der Suizident stirbt, sondern auch wenn er überlebt. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, denn das Strafgesetzbuch verlangt in § 212 StGB eigentlich nur, einen Menschen zu töten, aber gerade nicht, dass es sich um einen anderen Menschen handelt. Das kleine Wörtchen „anderen“ muss man vielmehr hineinlesen. Die Begründung für eine solche Interpretation: Autonomie. Jeder hat das Recht selbst zu entscheiden, auch und gerade über sein eigenes Leben. Wenn aber die Selbsttötung keinen Straftatbestand erfüllt, kann sich auch nicht strafbar machen, wer bei einer Selbsttötung Hilfe leistet oder sogar dazu anstiftet: Wo nichts ist, da kann ich auch zu nichts anstiften und bei nichts helfen.
Gerade im Falle der Anstiftung ist das Ergebnis bedenklich: Bei einem Mitmenschen den Entschluss zu wecken, sich zu töten, ihn dazu zu motivieren, ihn dazu anzutreiben, ist grundsätzlich straflos. Das war der Grund, warum im Fall der 23-jährigen Bremerin die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellte: Man ging davon aus, dass nur ein Fall der Anstiftung zum Suizid vorlag, und dieser ist eben nicht strafbar. Das war damals unverständlich und das ist bis heute unverständlich. Es gab genügend Anhaltspunkte Zweifel daran zu haben, ob wirklich ein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss vorlag. Die Bremerin litt an psychischen Erkrankungen und der Chatverlauf mit Heimu ließ es zumindest als hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass dieser manipulierend bis nötigend auf die Frau einwirkte.
Wenn aber krankheitsbedingte Defizite oder Zwangseinwirkungen vorliegen, verneint die Rechtsprechung die Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung. Autonome Entscheidungen verlangen immer auch die Fähigkeit zur Autonomie. Wer diese Fähigkeit generell nicht besitzt, denken wir an kleine Kinder, oder aktuell nicht aufweist, denken wir an Bewusstlose oder völlig Betrunkene, der kann auch nicht selbstbestimmt entscheiden. Wer von solchen Defiziten weiß, der macht sich sehr wohl strafbar und zwar als Täter in einer sog. mittelbaren Täterschaft. Der Täter setzt das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst ein. Und genau auf dieser Grundlage wurde Heimu schließlich verurteilt. Als Mordmerkmal wurde die sexuell-sadistische Motivation, die den Taten zugrunde lag, berücksichtigt. Es wäre wünschenswert gewesen, hätte man bereits im ersten bekannten Fall nicht einfach einen freiverantwortlichen Suizid unterstellt, sondern kritisch hinterfragt und entsprechend Sachverständigengutachten eingeholt. Strafrecht ist auch und vor allem Opferschutz. Heimu konnte nach dem Tod der Bremerin ungestört, mit dem Einstellungsbescheid als Freifahrtschein weitermachen. Die weiteren Opfer hätten vermieden werden können.
Eisern!
Dirk Gräning
Rechtsanwalt