Polizeisturm auf Jolly Roger 2009
Publikative.org fasst den Abend vor fünf Jahren zusammen und veröffentlicht vor allem ein Polizeivideo, auf dem allerdings wichtige Sequenzen fehlen:
Der Polizeieinsatz ist bereits fast fünf Jahre her – doch bis heute gilt er in der Fanszene des FC St. Pauli als Fanal. Im Juli 2009 stürmten Polizisten das „Jolly Roger“, sprühten massiv Pfeffspray in die Kneipe, verletzten zahlreiche Besucher einer Geburtstagsparty. Einem Mann wurden vier Zähne ausgeschlagen, er hat nun auf Schmerzensgeld geklagt – erfolglos. In einem internen Polizeivideo, das Publikative.org teilweise zeigt, fehlt die Gewalttat.
Es ist der 5. Juli 2009 – Schanzenfest in Hamburg. Etwa 500 Meter entfernt vom Schanzenviertel in Richtung Reeperbahn liegt die St. Pauli-Fankneipe „Jolly Roger“. Hier steigt an diesem Abend eine Geburtstagsparty, die ein schmerzhaftes Ende nimmt. Es ist bereits weit nach Mitternacht, als eine Gruppe Polizisten, behelmt und in Kampfmontur, die Budapester Straße entlang in Richtung der Kneipe laufen. Am Jolly Roger angekommen, stoßen sie auf eine Gruppe von Party-Gästen, die vor dem Jolly stehen, schnacken, trinken und rauchen. Die Situation wirkt zunächst eher entspannt. Eine angetrunkene Frau beleidigt die Polizeit mit dem Spruch „A.C.A.B. – all cops are bastards“. Die Polizisten drängen in die Gruppe von schätzungsweise 30 Personen, schubsen Kneipenbesucher. Sie drängen die Besucher in die Kneipe und in den danbeneliegenden Hauseingang. Aus der Gruppe fliegt mindestens ein Glas auf die Polizisten, später noch eins aus der Kneipe.
Später scheint sich die Situation wieder zu entspannen, die Kneipenbesucher kommen wieder aus dem Jolly, stehen davor, trinken und rauchen. Mehrere Minuten lang passiert gar nichts. Plötzlich stürmen behelmte Polizisten ohne erkennbaren Anlass in die Gruppe, innerhalb weniger Sekunden drängen sie die Personen wieder in die Kneipe, andere stehen mit erhobenen Händen vor einem benachbarten Geschäft.Erst nach diesem erneuten Sturm der Polizei eskaliert die Lage komplett: Die Tür zum Jolly steht noch offen, davor die Polizisten, aus der Kneipe werfen einige Personen mit allem, was sie in die Finger bekommen: Flaschen, Gläser und Barhocker. Die Polizisten ziehen sich hinter die Tür zurück und bereiten Pfefferspray-Einsatz vor. Ein Kneipenbesucher versucht von innen die Tür zu schließen, offenbar um eine Stürmung der Kneipe durch die behelmten Polizisten zu verhindern. Ein Polizist sprüht ihm aus kurzer Distanz Pfefferspray ins Gesicht. Ein weiterer Polizist sprüht Pfefferspray in die Kneipe, einem anderen Besucher ins Gesicht.
Dann wird massiv Reizgas in die Kneipe gespritzt – nicht zielgerichtet auf Personen, sondern das Jolly wird regelrecht eingenebelt mit dem ätzenden Gas. Die im vorderen Bereich verbliebenen Personen flüchten in den hinteren Teil des Jolly, sie halten sich Tücher vor die Gesichter. Die Polizei setzt noch mehr Pfefferspray ein.
Nun stürmen die Polizisten in die Kneipe. Man sieht verängstigte Partygäste im hinterten Teil der Kneipe, der Rest hat sich in die Toilettenräume und in den Keller geflüchtet. Einen Hinterausgang gibt es nicht. Nun müssen die Polizisten feststellen, wie wirkungsvoll ihr Pfefferspray tatsächlich ist – sie halten es nur wenige Sekunden im Jolly aus und flüchten dann wieder. Beim Verlassen der Kneipe klappen sie ihre Visiere an den Helmen hoch, offenbar, um Luft zu bekommen. Der letzte Polizist schließt hinter sich wieder die Eingangstür – von außen. Wenig später öffnet ein Polizist wieder die Tür, schaut einmal herein und lässt sie dann angelehnt, wenige Sekunden später verlassen die ersten Kneipenbesucher das Jolly: Gebeugt, um Luft ringend, mit tränenden Augen.
Die Wut scheint groß über diesen Einsatz, treffender wäre Angriff. Ein Kneipenbesucher fragt in die Polizeikamera, was das alles solle? Eine Frau versucht ihn wegzuziehen, doch ein Polizist sprüht ihm bereits direkt Pfefferspray ins Gesicht. Der Mann sinkt zusammen. Die Polizei gibt später an, man habe Straftäter im Jolly vermutet, doch als immer mehr keuchende Kneipenbesucher das Jolly verlassen, wird niemand kontrolliert oder festgenommen. Die Polizei zieht sich auf die Straße zurück. Was sollte dieser Einsatz also?
Dann fehlt ein Teil in dem Video, laut Polizeiangaben angeblich, weil die Batterie der Kamera leer gewesen sei. Auf den verbliebenen Bildern ist plötzlich ein Wasserwerfereinsatz zu sehen, die Polizisten treiben eine Personengruppe in Richtung Paulinenplatz. Vor der Kneipe schnappen sich Polizisten einen Mann – der Anlass ist nicht ersichtlich – umringen ihn.
Was nicht zu sehen ist: Dem Journalisten Sven Klein wurden seinen Angaben zufolge vor dem Jolly mehrere Zähne von einem Polizisten ausgeschlagen. Zeugen bestätigten die Darstellung. Gegenüber Publikative.org beschreibt Sven Klein die Situation so:
Um 0.45 Uhr gingen meine Freundin und ich noch eine Runde mit dem Hund. Auf dem Weg fiel uns ein, dass im Jolly Roger heute eine Geburtstagsparty stattfand, und wir beschlossen noch einen kurzen Abstecher dorthin zu unternehmen. Auf dem Gehweg vor der Kneipe standen etliche Leute herum. Drinnen war es brechend voll und so blieben wir ebenfalls vor der Tür. Nach einer ganzen Weile rückten plötzlich Polizeikräfte in Richtung Jolly vor. Auf einmal war die Hölle los: Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und setzte die Menschen auf dem Gehweg unter Beschuss. Viele flüchteten ins Innere des Jolly, andere gingen um die Ecke in die Paulinenstraße. Ich stellte mich auf die gegenüberliegende Straßenseite und beobachtete das Geschehen. Meine Freundin war inzwischen mit dem Hund nach Hause gegangen. Als ich sah, dass die Beamten nun das Jolly zu stürmen versuchten, rief ich meinen Freund Mike vom Spiegel an und gab ihm eine Art „Live-Ticker“ der Ereignisse. Nachdem die Polizeikräfte massiv Pfefferspray ins Jolly gesprüht hatten, stürmten sie hinein, kamen aber alsbald wieder hustend heraus. Nach und nach kamen dann immer mehr Menschen hustend aus dem Jolly. Ich beendete mein Telefonat und ging ins Jolly, um Wasser zu holen um damit den Leuten zu helfen. Nach und nach beruhigte sich die Lage und die Polizei zog sich zurück.Einige Zeit später lief eine größere Gruppe Beamter im Abstand von ca. zwei Metern im Gänsemarsch an mir vorbei. Plötzlich drehte sich der Letzte in der Reihe um, fixierte mich kurz und schlug mir seinen Tonfa ins Gesicht. Ich torkelte benommen Richtung nach Hause. Dabei rief ich erneut Mike an, um ihm zu sagen, dass ich keine Zähne mehr hätte. Dann rief ich meine Freundin an und sagte ihr, dass ich nach Hause komme. Dort angekommen, zog ich mich aus und ging duschen. Meine Freundin machte ein Foto von meiner Visage. Irgendwann schlief ich ein.
Ein anderer Journalist, der wie von Sven Klein erwähnt bei Spiegel online arbeitet, bestätigt die Angaben. Der Geschädigte habe ihn angerufen und berichtet, die Situation vor dem Jolly sei eskaliert. Wenige Minuten später rief er erneut an und sagte, ein Polizist habe ihm die Zähne ausgeschlagen .Die Behandlung des Verletzten hat bislang etwa 20.000 Euro gekostet. Das Geld wurde in der Fanszene des FC St. Pauli gesammelt. Die dienstinertnen Ermittlungen der Polizei wurden eingestellt. Nun klagte Klein gegen die Stadt Hamburg auf 10.000 Euro Schmerzensgeld, im März begann das Verfahren – doch die Klage wurde am 27. Mai abgewiesen. Die Begründung dafür steht noch aus.