16 Okt 2021

Verbot anlassloser Videoüberwachung – Teil 1

Liebe Unioner,

die Kölner Strafverfolgungsbehörden werden wahrscheinlich an einen Aprilscherz geglaubt haben, doch das Landgericht Köln meinte es ernst mit seinem Beschluss vom 1. April dieses Jahres, in dem es feststellte, dass das anlasslose Filmen von Fußballfans in Fußballstadien rechtswidrig ist.

Rechtlich stellen Videoaufzeichnungen einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 des Grundgesetzes ist. Jeder Eingriff in das Grundrecht eines Menschen bedarf einer Rechtfertigung.

Nun sind bekanntlich Fußballfans auch Menschen und keine Verbrecher, woran das Landgericht Köln die Strafverfolgungsbehörden erinnerte und eine Rechtfertigung für die Videoaufzeichnungen im zugrundeliegenden Fall verneinte.

Was war geschehen? Am 26. August 2016 trat in der Regionalliga die zweite Mannschaft des 1. FC Köln gegen Rot-Weiß Oberhausen an. Die Polizei filmte die Kölner Fans in ihrem Block. Die Kölner Fans bekundeten ihr Missfallen darüber mit dem bekannten ACAB-Schlachtruf. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen drei von ihnen. Der Vorwurf? Beleidigung der anwesenden Polizeibeamten. Im Westen nichts Neues also. Fanalltag.

Das Amtsgericht Köln sprach die Angeklagten jedoch in erster Instanz frei. Die Entscheidung bewegt sich auf den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Wegen. Kurz zusammengefasst: In den ACAB-Fällen fehlt ein Opfer.

Etwas ausführlicher: Die Polizei selbst ist nicht Opfer der Schmähgesänge, da es nicht DIE „Polizei“ gibt, sondern es sich um ein nicht beleidigungsfähiges Kollektiv handelt. Die Annahme einer Beleidigung zulasten der im Stadion anwesenden Polizeibeamten unter der Kollektivbezeichnung „cops“ ist dagegen an strenge Voraussetzungen geknüpft, die vorliegend nicht erfüllt waren. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die beleidigende Äußerung bezieht, so das Verfassungsgericht, desto schwächer wird auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds jenes Kollektiv. Denn es gehe bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um individuelles Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion.

Daher sei es unzulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bilde. Juristendeutsch.

Einfacher gesagt: Nur weil ich die Polizei in Gänze „beleidige“, beleidige ich nicht automatisch den zufällig vor mir stehenden Polizisten. Oder mal ein Seitenwechsel: Nur wenn sich ein Polizist bei einem Heimspiel auf die Hämmerlingstraße stellen und skandieren würde „Fußballfans sind Verbrecher“, beleidigt er weder alle Fußballfans in ihrer Gesamtheit, noch ohne weiteres mich als einzelnen vorbeilaufenden Unionfan.

Oder, um es mit dem Landgericht Köln auf das Wesentliche herunterzubrechen: „Schwabbelige, grölende Männer“ haben keine Straftaten begangen. Gesunder Menschenverstand. Eigentlich.

Die Staatsanwaltschaft legte trotzdem noch Berufung ein. Ein klassisches Eigentor, wie sich herausstellen sollte. Denn das Landgericht Köln fügte dem erstinstanzlichen Urteil noch eine Ohrfeige hinzu.

Es ist ein eiserner Grundsatz im Strafverfahren, dass jeder als unschuldig gilt bis zum Beweis seiner Schuld. Um den Angeklagten die Beleidigungen zu beweisen, legte die Staatsanwalt die im Stadion angefertigten Videoaufzeichnungen vor. Doch das Landgericht wies diese als Beweismittel zurück. Die Videoaufzeichnungen unterlägen einem Verwertungsverbot. Warum? Ihre Anfertigung wäre nur zulässig gewesen, wenn es hierfür einen Anlass gegeben hätte. Gab es aber nicht!

Denn die ACAB-Gesänge waren keine Beleidigungen und Anhaltspunkte für weitere Straftaten gab es nicht. Anlasslose Videoaufzeichnungen sind rechtswidrig. Doch allein die Tatsache, dass die Erhebung eines Beweismittels rechtswidrig ist, begründet kein Verbot, dieses Beweismittel nicht dennoch im Strafverfahren zu verwerten. Die Strafgerichte spielen nämlich äußerst zurückhaltend, was die Annahme solcher Beweisverwertungsverbote angeht. Hierbei stehen sich das staatliche Interesse an Strafverfolgung und Wahrheitsfindung einerseits und der individuelle Grundrechtsschutz des Einzelnen andererseits gegenüber. Aber dieses Duell findet nicht auf Augenhöhe statt, sondern entspricht eher einem Erstrundenpokalduell à la Bayern München gegen TSV Vestenbergsreuth.

Nur an einem schlechten Tag des Favoriten gewinnt der Außenseiter. Wenn es sich nicht gerade um krasse Fälle handelt, die von willkürlichem Verhalten oder gravierenden Grundrechtsverletzungen geprägt sind, dann wird dem staatlichen Interesse an Strafverfolgung und Wahrheitsfindung zumeist Vorrang eingeräumt.

Soweit vielleicht erstmal für heute. Warum das Landgericht Köln, wie hier ausgeführt, entschieden hat, könnt Ihr im nächsten Beitrag lesen!

Eisern Union

Dirk Gräning

Rechtsanwalt