Erst Geschädigter, dann Beschuldigter …
Liebe Unioner!
Heute mal ein kurzer Exkurs in den gerichtlichen Alltag. Ich hatte einen Mandanten zu vertreten, der ein Auswärtsspiel unseres Vereins in Dortmund besuchte. Mit dabei waren seine Lebensgefährtin sowie ein weiteres Pärchen aus dem familiären Umfeld. Soweit so gut, denkt man sich, nichts Besonderes. Auch nicht besonderes, wir haben in Dortmund verloren und trotz allem war man auf der Rückreise im Dortmunder Nahverkehr noch relativ ausgelassener Stimmung.
Das änderte sich dann auf dem Hauptbahnhof, als die beiden Frauen auf ziemlich unschöne Art von einem Dortmund Fan angepöbelt und beleidigt wurden. Das ging dann sogar soweit, dass der Dortmunder Fan körperlich aktiv wurde, schubste und zum Schlag ausholte. Dieser konnte dann zwar abgewehrt werden, aber dadurch gingen sowohl mein Mandant als auch eine der beiden weiblichen Begleiter zu Boden. In der Folge entspann sich eine Auseinandersetzung, in der der Dortmund Fan immer wieder provozierte und auch nicht abließ, bzw. sich nicht entfernte und auch ganz augenscheinlich, so jedenfalls aus dem den Bahnhof überwachenden Video erkenntlich, immer wieder die Auseinandersetzung suchte. Irgendwann war dann der Bogen so überspannt, dass mein Mandant und seine Begleiter sich wehrten und dies auch körperlich, insbesondere, um den Dortmund Fan schlicht und ergreifend loszuwerden.
In der Folge versuchte der Bekannte meines Mandanten noch, den nunmehr flüchtenden Dortmund Fan zu verfolgen, wurde dabei aber von der Polizei zurückgehalten, so dass dieser unbekannt entkam. Mein Mandant und seine drei Begleiter gingen dann zur Polizei und sollten dort Ihre Aussage machen. Sie gingen bis dahin davon aus, dass sie, insbesondere die zu Boden gegangene weibliche Person, die Geschädigten waren.
Erstaunt waren sie dann, als nach einer ersten Bestandsaufnahme ihnen mitgeteilt worden ist, dass sie die Beschuldigten seien. Sie wurden auf der Polizeiwache mehr als unfreundlich behandelt, allerlei erkennungsdienstliche Maßnahmen wurden durchgeführt und erst nach geraumer Zeit konnten sie dann wieder gehen.
In der Folge wurden dann drei der vier oben genannten Personen der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt. weil sie angeblich gemeinschaftlich handelnd versucht hätten, jemand anderes an der Gesundheit zu schädigen. Für einen solchen Vorwurf sieht das Gesetz eine Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe vor.
Auch außergerichtliche Bemühungen, die Angelegenheit zu klären, blieben ohne Erfolg, sodass schließlich die drei Personen jeweils einen Strafbefehl erhielten, in dem ihnen nunmehr zwar nur noch einfache Körperverletzung aber ebenfalls empfindliche Geldstrafen auferlegt wurden.
Nach einem Einspruch gegen die Strafbefehle fand dann vor dem Amtsgericht Dortmund die Hauptverhandlung statt. Alle Angeklagten hatten die Möglichkeit, sich zum Vorwurf zu äußern und insbesondere zur Entstehung dieser Auseinandersetzung vorzutragen. Dazu hatten alle Beteiligten inklusive Gericht und Staatsanwaltschaft auch die Möglichkeit, sich das Video, welches zumindest teilweise die Vorgeschichte und dann die Auseinandersetzung vollständig wieder gab, anzusehen. Als Verteidiger hatte ich den Eindruck, dass es das erste Mal war, dass man sich auf Seiten der Staatsanwaltschaft intensiv mit der Argumentation der Angeklagten auseinandersetzte.
Im Ergebnis waren dann Gericht und Staatsanwaltschaft der Auffassung, dass das Verfolgungsinteresse wie es vorher gesehen wurde, nun nicht mehr vorlag und die Verfahren wurden gegen alle Angeklagten eingestellt, sogar, ohne dass sie eine Auflage zu bezahlen hatten.
Es verbleibt natürlich der mehr als schale Beigeschmack des notwendigen immensen Aufwandes, insbesondere verbunden mit Anwaltstermin und der Fahrt nach Dortmund, um solch ein Ergebnis zu erreichen, was an sich bei sachgemäßer Beurteilung der Angelegenheit schon vorher möglich gewesen wäre und die ungute Erfahrung, wie schnell man vom Geschädigten zum Beschuldigten wird.
Trotzdem hat es sich für die Angeklagten gelohnt, sich gegen die Strafbefehle zu wehren. An dieser Stelle möchte ich auch einmal, obwohl oft gescholten, ganz deutlich hervorheben, dass sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht um eine objektive Bewertung der Angelegenheit mehr als bemüht waren. Dabei wird mir auch die Äußerung der Staatsanwältin lange in Erinnerung bleiben, die sinngemäß meinte, dass man die Sache, wenn es sich um eine Kneipenschlägerei gehandelt hätte, wahrscheinlich gar nicht bis zur Anklage gebracht hätte und es insoweit auch unfair sei, jetzt bei dieser sehr überschaubaren Beweissituation jemand zu verurteilen, nur weil sich der Sachverhalt im Rahmen eines Fußballspiels bzw. bei der Abreise vom Stadion ereignet hat. Das hört man zugegeben sehr selten.
Eisern Union
Dirk Gräning
Rechtsanwalt