Kennzeichnungspflicht von Polizisten – Update EGMR
Liebe Unioner,
schon ein wenig her aber nicht minder interessant ist eine womöglich wegweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem letzten Jahr zum Thema Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten.
Der EGMR ist ein auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingerichteter Gerichtshof, der Akte der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung in Bezug auf die Verletzung der EMRK in allen 47 europäischen Staaten überprüft, die der EMRK beigetreten sind – so auch Deutschland. Allen natürlichen Personen und nichtstaatlichen Organisationen sowie Personengruppen wird per Individualbeschwerde das Recht gewährt, den EGMR mit der Behauptung anzurufen, in einem Recht aus der EMRK verletzt zu sein.
Nicht zu verwechseln ist der EGMR mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser ist ein Organ der Europäischen Union, dessen wichtigste Aufgabe es ist, sicherzustellen, dass das Gemeinschaftsrecht der EU nicht von jedem der zurzeit 28 EU-Mitgliedsstaaten anders interpretiert und angewandt wird. Er basiert auf dem Gemeinschaftsrecht und nicht wie der EGMR auf der Wahrung von Menschenrechtsgesetzen.
Jedenfalls hatte der EGMR über einen Vorfall aus dem Jahre 2007 zu entscheiden, der einen Polizeieinsatz während des Münchener Amateurderbys zum Gegenstand hatte. Dort kam es nach dem Spiel zu Übergriffen der Polizei auf mehrere Fußballfans.
Zwei dieser Fans beanstandeten die übermäßigen Schlagstockschläge der Polizei auf Kopf und Körper der Fans sowie den massiven Pfeffersprayeinsatz und erstatteten Strafanzeige. Dummerweise konnten sie aber nicht genau sagen, welche Polizisten sie verletzt hatten, weil die eingesetzten Beamten Schutzhelme mit Visier trugen und ihre identischen Uniformen weder Namensschilder noch vergleichbare Identifikationsnummern besaßen. So kam es dazu, dass die Staatsanwaltschaft zwar grundsätzlich festhielt, dass einige Polizisten unzulässigerweise zugeschlagen hätten. Dennoch stellte sie die weiteren Ermittlungen ein, weil sich die Polizisten nicht identifizieren ließen. Eine gerichtliche Entscheidung blieb den Klägern mangels Identifizierung der Täter ebenfalls verwehrt, weshalb sie wegen Verletzung ihrer Menschenrechte nunmehr den EGMR anriefen.
Und dieser sah die Fans durchaus im Recht. In seinem Urteil kritisiert der EGMR die lückenhaften Ermittlungen in diesem Fall. Zwar stellte er fest, dass es keine generelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten gebe. Genau aus diesem Grund seien aber erhöhte Anforderungen an die Ermittlungen bei strafrechtlich relevantem Verhalten jener Beamten zu stellen. Der EGMR führt aus, dass dieser „Einsatz von behelmten Polizisten ohne identifizierende Merkmale und die daraus resultierenden Schwierigkeiten“ während der Ermittlungen nicht ausreichend ausgeglichen worden seien. So sei Videomaterial nur teilweise ausgewertet worden, zudem seien nicht alle Beamten befragt worden. Und weil die Beamten gerade keine gut sichtbaren Namensschilder oder Nummern getragen hätten, sei es besonders wichtig gewesen, alle anderen Belege äußerst sorgfältig zu untersuchen.
Dieses fehlende Vorgehen stelle daher eine verfahrensrechtliche Verletzung von Art. 3 EMRK (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) dar. Danach kann Art. 3 EMRK nicht nur durch unmittelbare körperliche Übergriffe, sondern auch durch mangelhafte Ermittlungen verletzt sein. Aus diesem Grund sprach der EGMR beiden Fans eine Entschädigung in Höhe von je 2.000 Euro für nicht monetäre Schäden und rund 6.500 Euro für Verfahrenskosten zu.
Doch was folgt nun zukünftig aus dieser Entscheidung? Der EGMR stellt zwar fest, dass Polizisten nicht zwingend deutlich sichtbare Namensschilder oder Nummern tragen müssen, sondern regt eine solche Pflicht lediglich an. Falls aber eine Identifizierung der handelnden Beamten nicht möglich sein sollte, muss im Rahmen der Ermittlungen aber wirklich alles Mögliche versucht werden, um den Sachverhalt aufzuklären. Andernfalls soll der Staat kurzerhand haftbar sein. Erfreulicherweise haben einige Bundesländer hierzulande – darunter auch Berlin – eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte ihres Landes bereits eingeführt. Den übrigen Bundesländern wird durch das Urteil des EGMR verdeutlicht, dass eine fehlende Kennzeichnung von Polizisten keine langfristige Lösung sein kann. Nur durch eine individuelle Kennzeichnung kann auch individuelles Fehlverhalten von Polizisten sanktioniert und nicht dem Staat selbst auferlegt werden. Ob diese Ansicht aber zukünftig auch von staatlicher Seite grundlegend geteilt wird, bleibt wie so oft abzuwarten.
Eisern Union!
Rechtsanwalt Dirk Gräning