23 Sep 2023

Vorsatz im Strafrecht

Liebe Unioner,

das war doch ein ABSICHTLICHES Handspiel, der Spieler nahm eine Verletzung seines Gegenspieler BILLIGEND IN KAUF, die Mannschaft verspielte LEICHTFERTIG eine 2:0-Führung, der Torwart VERTRAUTE auf eine Zwei-Mann-Mauer, obwohl sich Juranovic für den Freistoß bereit machte: grob fahrlässig.

Phrasen, die wir im Fußballgeschäft gut kennen. Phrasen mit Begriffen, die im Strafrecht ihren Ursprung haben. Es geht um den Vorsatz und seine verschiedenen Formen und Abgrenzungen. Unter Vorsatz versteht man allgemein Wissen und Wollen der Verwirklichung eines Straftatbestandes. Je nach Intensität von Wissen und Wollen unterscheidet man drei verschiedene Formen. Ist das Wollen stark, so spricht man von Absicht, der sogenannte zielgerichtete Erfolgswille. Der Spieler wehrte zielgerichtet den Ball mit der Hand ab, um das Tor zu verhindern. Das eigentliche Endziel ist zwar, das Tor zu verhindern, aber um dieses Ziel zu erreichen, ist es als Zwischenziel notwendig, den Ball mit der Hand abzuwehren. Eine Reihe von Strafvorschriften verlangen eine solche Absicht: So begeht Diebstahl oder Raub nur derjenige und wird dafür bestraft, der beabsichtigt, sich eine Sache zuzueignen. Ebenso wird wegen Erpressung oder Betrug nur bestraft, wer beabsichtigt, sich zu bereichern. Ist hingegen das Wissen stark ausgeprägt, so spricht man von Wissentlichkeit. Der Torwart lässt sich für den Abstoß bewusst eine Minute Zeit, obwohl er sich der Konsequenz – Gelbe Karte! – bewusst ist und sicher voraussieht. Eine solch sicheres Wissen verlangen etwa der Missbrauch von Notrufen oder die Strafvereitelung.

Schließlich können beide Elemente, also Wissen und Wollen zugleich schwach ausgeprägt sein. Hier befinden wir uns in einem Graubereich, der Gelehrten wie Gerichten seit ewig viel Kopfzerbrechen bereitet. Es geht hier um die Abgrenzung zwischen dem sogenannten bedingten Vorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit. In der jüngeren Vergangenheit hat hier der Berliner Kudamm-Raser-Fall Rechtsgeschichte geschrieben: Zwei Autoraser, die mit mehr als 170 km/h mehrere Kilometer über den Kudamm rasten und infolge eines Unfalls einen unbeteiligten Menschen töteten, wurden wegen Mordes – mittlerweile auch rechtskräftig – verurteilt. Das Berliner Landgericht nahm erstmals einen bedingten Tötungsvorsatz an: Aufgrund der extrem gefährlichen Fahrweise – hohe Geschwindigkeit, belebte Straße, Vielzahl roter Ampeln überfahren – hätten die Täter tödliche Folgen ihrer Fahrt als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen. Als Mordmerkmal sah das Landgericht eine heimtückische und gemeingefährliche Begehungsweise erfüllt an.

Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz vorliegt, erfolgt immer im Einzelfall und hängt von einer Vielzahl von Voraussetzungen ab. Der Bewertungsspielraum der Gerichte ist dadurch sehr weit und damit auch wenig vorhersehbar. Die Abgrenzung bedeutet für die Beschuldigten eine extreme Weichenstellung. Fahrlässigkeit wird nur im Falle ausdrücklicher Anordnung im Strafgesetzbuch bestraft. Daran fehlt es etwa für Diebstahl oder Sachbeschädigung. Aber selbst wenn fahrlässiges Handeln unter Strafe steht, dann mit deutlich niedrigerem Strafrahmen. Das wird besonders augenscheinlich bei den Tötungsdelikten. Der oberste Strafrahmen der fahrlässigen Tötung hört mit fünf Jahren bereits dort auf, wo der unterste Strafrahmen der vorsätzlichen Tötung überhaupt erst anfängt. Diese Konsequenzen bekamen auch die Kudammraser zu spüren. Während die Gerichte zuvor in ähnlichen Fällen nur wegen fahrlässiger Tötung bestraften und oftmals nur Bewährungsstrafen aussprachen, wurden die Kudammraser wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Eisern Union!

Dirk Gräning

Rechtsanwalt