Wiederaufnahme von Strafverfahren
Lieber Unioner,
in zunehmendem Maße liest man in Medien von Strafverfahren, die wieder in Gang gebracht werden, obwohl sie bereits lange eingestellt waren. Das hat die Ursache, dass die technische Entwicklung es ermöglicht, dass neue Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Begehung einer Straftat, nicht zur Verfügung gestanden haben, jetzt genutzt werden können, um lange nach der Begehung einer Tat den Täter zu überführen.
Beispielhaft sei hier nur die Verwendung von Ergebnissen einer DNA-Analyse genannt. Diese neuen Beweismittel führen dazu, dass die Ermittlungsbehörde die Ermittlungen wieder aufnehmen und Anklage erheben kann, soweit sie davon überzeugt ist, dass mit solchen Beweismitteln ein Tatnachweis zu erbringen ist. Dies ist auch nachvollziehbar, weil die Verfahren bisher eben nur eingestellt waren und dann unter Zugrundelegung der oben genannten Voraussetzung wieder fortgesetzt werden können. Anders verhält es sich normalerweise, wenn ein Angeklagter wegen einer ihm vorgeworfenen Tat freigesprochen wurde. Hier besteht dann ein sogenanntes Doppelverfolgungsverbot, d. h. der Angeklagte, der wegen einer ihm vorgeworfenen Straftat freigesprochen wurde, kann wegen der gleichen Tat nicht noch einmal verurteilt werden.
Zum Ende des Jahres 2021 hat allerdings nunmehr der Gesetzgeber eine neue Regelung in der Strafprozessordnung geschaffen, nachdem nunmehr auch bei einem rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten eine Wiederaufnahme eingeleitet werden kann, mit dem Ziel, dass dieser Angeklagte sich in diesem Verfahren noch einmal wegen der gleichen ihm seinerzeit vorgeworfenen Tat einer Verhandlung unterziehen muss und er schlimmstenfalls auch damit rechnen muss, verurteilt zu werden.
Damit wird an sich das oben dargestellte strafrechtliche Doppelverfolgungsverbot quasi aufgehoben, zumindest aber durchbrochen.
Der Gesetzgeber hielt es aber für notwendig, in Fällen des Vorliegens neuer Beweismittel, die dringend den Schluss zulassen, dass ein rechtskräftig Freigesprochener nicht hätte freigesprochen werden dürfen, die Möglichkeit eines solchen Wiederaufnahmeverfahrens zu schaffen.
Das heißt aber nicht, dass jetzt jeder wegen einer Körperverletzung, oder einem Landfriedensbruch Verurteilte „in der Sorge“ leben muss, dass das Verfahren, in dem er rechtskräftig freigesprochen worden ist, gegen ihn noch einmal wieder aufgenommen wird. Anwendung soll diese neue Regelung nur für sehr schwere unverjährbare Straftaten, die eine lebenslange Freiheitsstrafe zur Folge haben, so z.B. bei einem Mord, finden.
Das ist natürlich einerseits konsequent, trotzdem stellt sich die Frage nach der Abgrenzung bei der Anwendung dieser neuen Regelung. Der Gesetzgeber hatte hier sicherlich hauptsächlich im Blick, dass es natürlich für Hinterbliebene eines Opfers sehr schwierig ist, zu akzeptieren, dass ein Täter, gegen den Anklage erhoben wurde, nur freigesprochen worden ist, weil die Beweismittel nicht über die erforderliche Qualität verfügten. Wenn man diesen Gedanken aber konsequent zu Ende denkt, wird sich aber die Frage stellen, warum man nicht auch bei anderen Verbrechen, wenn man schon zu einer solchen Regelung kommt, diese nicht auch anwendet.
Durch diese Einschränkung wird die Norm wahrscheinlich ohne großen praktischen Inhalt bleiben. Den eigentlichen rechtspolitischen Gedanken, nämlich der Genugtuungsfunktion der Angehörigen von Opfern Genüge zu tun, wird aber nur teilweise nachgekommen.
Eisern Union
Dirk Gräning
Rechtsanwalt