15 März 2025

Wahllichtbildvorlage

Liebe Unioner,

im Rahmen eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens stellt sich häufig die Frage, ob der Geschädigte einer Straftat einen möglichen Täter wieder erkennen kann, wenn es sonst keine Hinweise objektiver Natur auf diese Person gibt.

Die Zeugen werden in der Regel zu einem Termin bei der Polizei vorgeladen, zudem sie eine Aussage zum Sachverhalt machen können und in dem sie sich auch dazu äußern, ob sie einen möglichen Täter eventuell wiedererkennen würden. Zunächst bedarf es dazu von den Zeugen natürlich einer ungefähren Beschreibung des möglichen Täters und auch eine Vermutung, wie man diesen eventuell finden könnte. Das kann z.B. durch Hinweise Dritter erfolgen, z.B. beim Ablesen von Kennzeichen von Fluchtfahrzeugen. Es kann aber sein, dass der Geschädigte die Person, die ihn angegriffen hat, einer bestimmten Gruppierung zu einem Fußballverein oder einer anderen Organisation zuordnet oder ihn vielleicht aus der Vergangenheit, z.B. durch vorhergehende Ereignisse, z. B. durch den Besuch einer gemeinsamen Schule etc., kennt.

Der Geschädigte soll, soweit er sich erinnert, die Person möglichst genau beschreiben, zumindest, was die ungefähre Größe und die Statur und gegebenenfalls noch andere Merkmale, wie z.B. Bart, angeht, um überhaupt die Möglichkeit herzustellen, dass eine Wahllichtbildvorlage erfolgen kann.

In einer solchen Wahllichtbildvorlage sollen dem Geschädigten mindestens acht verschiedene Fotos von möglichen Tätern vorgelegt werden. Es soll darauf geachtet werden, dass diese Fotos nacheinander angesehen werden und es ist auch sehr große Sorgfalt an den Tag zu legen, was die Auswahl der Fotos angeht. Es sollen neben dem Foto eines möglichen Täters auch durchaus sehr ähnliche Fotos von anderen Personen dem Geschädigten ebenso gezeigt werden, um zu prüfen, ob ein wirkliches Wiedererkennen tatsächlich möglich ist.

Oft liest man in den Ermittlungsakten, dass der Geschädigte sich dann dergestalt äußert, dass er einen Beschuldigten zu 50 oder 70 oder 80 % wiedererkennen kann. Das ist an sich wenig hilfreich für die Ermittlungsbehörden, weil darauf fußend nicht mit einer für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit ein Angeklagter auch verurteilt werden kann. Trotzdem werden auch bei solchen Wiedererkennungswerten, die deutlich unter 100 % liegen, Anklagen erhoben. In der Folge werden dann die Geschädigten in einer Hauptverhandlung noch einmal befragt, ob sie den Angeklagten denn jetzt wiedererkennen könnten.

Im Rahmen eines solchen Verfahrens ist für einen Verteidiger sehr sorgfältig zu prüfen, ob die Wahllichtbildvorlage ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Gab es tatsächlich acht Fotos, die nacheinander gezeigt wurden, oder gab es möglicherweise sogar eine Einflussnahme der Ermittlungsbeamten auf die Zeugen, die erst dann einen möglichen Täter wiedererkannt haben wollen? Sollten sich solche Hinweise bestätigen oder sich aus den Aussagen der Geschädigten Hinweise ergeben, dass diese sich, was ein mögliches Wiedererkennen eines Täters nicht sicher sind, oder in ihrer Wahrnahme wirklich beeinflusst worden sind, ist die Wahllichtbildvorlage nur mit einem eingeschränkten Beweiswert zu verwenden. Die Gerichte müssen dann nach weiteren objektiven Kriterien suchen, wenn der Angeklagte tatsächlich verurteilt werden soll.

Ist die Wahllichtbildvorlage nicht ordnungsgemäß erfolgt und ein Wiedererkennen eines möglichen Täters durch den oder die Geschädigten nicht möglich, muss der in dem Verfahren Angeklagte schon aus diesem Grund freigesprochen werden, weil man ihm die Tat nicht nachweisen kann.

Eisern Union

Dirk Gräning
Rechtsanwalt